Schuchardt, Hugo Ernst Mario

Aus Romanistenlexikon
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Hugo Ernst Mario Schuchardt (4.2.1842 Gotha – 21.4.1927 Graz); Sohn des herzoglichen Notars Dr. iur. Ernst Julius Schuchardt (1809-1885) u. der Malwine geb. von Bridel-Brideri (1815-1899)

Verf. Frank-Rutger Hausmann

Romanische Philologie, bes. Sprachwissenschaft; Baskologie u. Kreolistik

1859 Abitur Gymn. Ernestinum Gotha; 1859 Stud. Rechtswiss. Jena, dann Philol.; 1861 Bonn; 1864 Prom. (Ritschl u. Friedrich Diez) Bonn; 1867-69 Studienaufenthalte Genf u. Rom; 1870 Habil. (Adolf Ebert) Leipzig; 1870er u. 1880er Jahre Studienreisen Wales, Andalusien, Baskenland; 1873 o. Prof. Halle; 1876 o. Prof. Graz; 1890 Rufablehnung Budapest u. Leipzig, 1891 Breslau; 1900 vorzeitig em.; weitere Studienreisen Süditalien, Ägypten, Skandinavien, Südfrankreich u. Katalonien.

1882 o. Mitgl. d. Akad. d. Wiss. in Wien; 1890 Inst. de France, Paris; 1896 Akad. d. Wiss. Lissabon; 1897 Bayer. Akad. d. Wiss. München; 1902 Accademia dei Lincei Rom; 1910 Akad d. Wiss. Amsterdam; 1911 Christiania (Oslo); 1912 Preuß. Akad. d. Wiss. Berlin; 1914 Akad. d. Wiss. Kopenhagen; 1919 Euskaltzaindia Bilbao; weiterhin Akad. d. Wiss. zu Budapest, Bologna, Bukarest, Coimbra, Java u. Mailand; Ehrenmitgl. zahlr. wiss. Ges.; Dr. phil. h. c. (Bologna, Budapest, Oslo u. Graz); zahlr. Orden; hinterließ Prof. Dr. H. S.’sche Malwinen-Stiftung, Univ. Graz (seit 1917).

H. S. Brevier, Ein Vademecum der allgemeinen Sprachwissenschaft. Hrsg. v. L. Spitzer, 21928, Nachdr. 1976 (P)

De sermonis Romani plebei vocalibus (gedr. u. d. T. Der Vokalismus des Vulgärlateins, 3 Bde., 1866–68, Nachdr. 1975 (Diss.); Über einige Fälle bedingten Lautwandels im Churwälschen, Gotha 1870 (Habil.-Schr.); Dem Herrn Franz von Miklosich: Slawo-deutsches u. Slawo-italienisches, Graz 1884, Nachdr. hg. v. D. Gerhardt, 1971; Über d. Lautgesetze. Gegen d. Junggrammatiker, Berlin 1885; Romanisches u. Keltisches: gesammelte Aufsätze, Berlin 1886;  Kreolische Studien, 4 Bde., Wien 1882–90; Baskische Studien I., Über die Entstehung der Bezugsformen des baskischen Zeitworts, Wien 1893; Baskisch u. Romanisch, Halle a. S. 1906;  Die iberische Deklination, Wien 1907;  Zur Kenntnis d. Baskischen von Sara (Labourd), Berlin 1922; Sprachursprung, 3 Bde., Berlin 1919/20;  Der Individualismus in der Sprachforschung, Wien-London 1925.

„Das Leben Schuchardts umspannt den Zeitraum von der Entstehung der wissenschaftlich-akademischen Philologien bis zur Entstehung der neueren Linguistik im engeren Sinn, und er hat sich in dieser ganzen Entwicklung entscheidend zu Wort gemeldet und diese nicht unmaßgeblich mitbestimmt. […] In der Grundlegung der romanischen Philologie liefert er Klassiker, die bis heute, mehr als 100 Jahre nach ihrer Entstehung, zu Marksteinen des Fachs gehören: In der sogenannten Leipziger Probevorlesung von 1872 […] zum Beispiel entwickelt er die These des kontinuierlich graduellen Überganges zwischen benachbarten Dialekten und daraus im wörtlichen Sinne eine Wellentheorie, die in verschiedenen Humanwissenschaften die ältere Stammbaumtheorie abgelöst hat und bis heute zum Standard gehört. Die romanische Dialektologie hat es von damals bis heute verstanden, in der Avantgarde der sprachwissenschaftlichen Diskussion mitzuwirken. Schuchardt war auch einer der schärfsten Beobachter und Kritiker sprachwissenschaftlicher Theoriebildung und als solcher Opponent der damals dominierenden Schule der Junggrammatiker […], die – immerhin mit großem fachinternen Erfolg und einiger Radiationskraft in der geisteswissenschaftlichen Wissenschaftstheorie allgemein – den Versuch formuliert haben, Prinzipien naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten in die Beschreibung von Sprachentwicklung einzuführen.

Pionierarbeit leistete Schuchardt auch zum Feld von Sprachmischung und Mischsprachen, die Begründung der Kreolistik scheint darin nur ein logischer Teil zu sein, jedenfalls einer, der fachgeschichtlich einige Bedeutung hatte und hat. Auch hier handelt es sich um Forschungsfelder, zu deren Entstehung Schuchardt Wesentliches geleistet hat, wo seine Arbeiten bis heute als Klassiker gelten […]. Man denke an seine Baskischen Studien, die sowohl im engeren Sinn linguistische Beschreibungen sind, etwa des berüchtigt komplizierten Verbalsystems, aber auch Arbeiten zum Sprachkontakt. Und in Fortsetzung Humboldtscher Tradition unterschied er zwischen historischer und elementarer Sprachverwandtschaft, und damit bekommen die Termini Sprachvergleichung, Sprachmischung und Mischsprachen die einerseits auseinanderstrebende, aber auch die verbindende Bedeutung: Nur aus dem Sprachvergleich, aus der Systematik der Unterschiede lassen sich typologische Zusammenhänge erkennen“ (Hurch, in: Leo Spitzers Briefe, 2006, XIV-XV).

HSchA; Elise Richter, ASNSpr 153-154, 1928, 623-624; Dies., NÖB VI, 1929, 122-131 (P); Homeyer, Zumbini, 1982, 97-104; Storost, Hugo Schuchardt, 1992; Wolf, Hugo Schuchardt Nachlaß, 1993; LexGramm 1996, 842-843 (Daniel Baggioni); Pierre Swiggers, „La canonisation d’un franc-tireur. Le cas de Hugo Schuchardt“, in: Wolfgang Dahmen [u.a.], Kanonbildung in der Romanistik u. den Nachbardisziplinen, Tübingen 1998, 269-304; LRL I, 1, 2001, 129-130 (Peter Wunderli); Storost, 300 Jahre, 2001, II, 451, bes. I, 300-308; Leo Spitzers Briefe, 2006; Bernhard Hurch, ADB 23, 2007, 623-624; Hurch, „Hugo Schuchardt“, in: Karl Acham (Hg.): Kunst und Geisteswissenschaften aus Graz. Werk und Wirken überregional bedeutsamer Künstler u. Gelehrter vom 15. Jahrhundert bis zur Jahrtausendwende, Wien [u. a.] 2009; Wolf, Kontinuität und Wandel, 2012, 172-176.